Vor etwas mehr als einem Monat, am 19. Februar, ermordete der Attentäter von Hanau neun Menschen. Ihre Namen: Ferhat Ünvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kalojan Welkow, Fatih Saraçoğlu, Said Nessar El Hashemi, Vili Viorel Păun. Seit ungefähr zwei Wochen begegnet man ihren Gesichtern wieder besonders häufig immer wieder an Straßenecken, Hauswänden und Bauzäunen in Berlin und anderen Großstädten. Von Plakaten, die einen Monat nach der Tat aufgehängt wurden, blicken sie uns an und erinnern uns, uns an sie zu erinnern. Und was ihnen vor gerade mal sechs Wochen passiert ist. Ein rassistisches Attentat – mal wieder. Und wie Informationen über den Abschlussbericht des zuständigen Ausschusses des Bundeskriminalamts suggerieren, scheinen die zuständigen Behörden die Hintergründe des weißen Terrors nicht als solche anzuerkennen – mal wieder.
Wie WDR, NDR und Süddeutsche Zeitung berichten, kommt das BKA in seinem Abschlussbericht (der jedoch noch nicht fertiggestellt ist) zu dem vorläufigen Fazit, dem Attentat liege kein rassistisches Hauptmotiv zugrunde. Tobias R. habe zwar eine rassistische Tat verübt, sei aber kein Anhänger einer rechtsextremistischen Ideologie gewesen, sondern vielmehr von Verschwörungstheorien geleitet worden. Die Opfer habe er nur ausgewählt, um möglichst viel Aufmerksamkeit auf die eigentliche Botschaft – seine angebliche Überwachung durch einen Geheimdienst – zu lenken.
Wie das BKA zu dieser Einschätzung gelangt, you may ask? Im Zuge ihrer Recherchen scannten die Mitarbeiter des BKA mehr als 100 Videodateien, die vom Computer und Handy des Attentäters stammten. Die ergaben laut BKA, dass der Täter keine „typische rechte Radikalisierung“ durchlaufen habe. Er habe weder Kontakt zu bekannten rechtsradikalen Netzwerken gehabt, noch sich mit anderen bekannten rechtsextremistischen Terroristen wie Anders Breivik beschäftigt. Außerdem habe er einen schwarzen Nachbarn gehabt, zu dem er immer freundlich gewesen sei und auch zu anderen Spielern mit Migrationshintergrund seines Fußballvereins sei er immer cool gewesen wie Nachbarn den Beamten wohl berichtet haben sollen. Der Teil seines Pamphlets, in dem er explizit von der Vernichtung bestimmter Völker fantasiert, die von Natur aus „destruktiv“ und anderen unterlegen seien – also ganz klar rassistisches und rechtsextremes Gedankengut – habe er nur in sein Schreiben aufgenommen, um Aufmerksamkeit zu generieren. Eine frühere Version seines Pamphlets hatte nämlich keine Beachtung gefunden, nachdem Tobias R. diese bereits im November an den Generalbundesanwalt geschickt hatte mit der Bitte, den Geheimdienst einzuschalten.
Wir wissen nicht, wer das hören muss, aber: Krude Verschwörungstheorien und Rassismus (und Frauenhass by the way auch) lassen sich sehr gut miteinander vereinbaren. Auffällig gut sogar. Sie sind ein regelrechtes Match made in hell.
Ja, Tobias R. litt vermutlich unter Paranoia und war von Verschwörungstheorien verblendet. Aber er war auch ein Rassist. Er wählte seine Opfer gezielt nach deren Herkunft aus, er wählte gezielt Orte migrantischen Lebens für seine Tat. Das war kein zu vernachlässigender Nebenaspekt seiner Gedankenwelt. Das war auch er.
Erinnert man sich an die fatalen Fehler, die in der Aufarbeitung des NSU Komplexes begangen wurden, ruft man sich den Fall Oury Jallohs ins Gedächtnis, dessen Aufklärung durch die Behörden bis heute verhindert wird, bedenkt man, dass Deutschland nie entnazifiziert wurde – hinter all diesen Hintergründen muss man erkennen, welche Botschaft hier gesendet wird, wenn man Ferhat Ünvar, Gökhan Gültekin, Hamza Kurtović, Mercedes Kierpacz, Sedat Gürbüz, Kalojan Welkow, Fatih Saraçoğlu, Said Nessar El Hashemi und Vili Viorel Păun keine Gerechtigkeit widerfahren lässt – mal wieder.