Die Friedensverhandlungen im Nahostkonflikt werden wieder aufgenommen
Seit gut drei Jahren standen alle Friedensverhandlungen still. Nun hat sich die israelische Regierung auf Druck des US-Außenministers dazu entschlossen mit einem Geschenk an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Gefangene Palästinenser werden aus israelischen Gefängnissen freigelassen. 104 an der Zahl. Damit erkauft sich Israel eine neue Verhandlungsrunde im Nahostkonflikt. Doch wie sehen die Positionen der jeweiligen Parteien aus und warum geht gerade der Hardliner Netanjahu diesen Schritt?

John Kerry’s diplomatischem Geschick ist es zu verdanken, dass sich Netanjahu vor sein Parlament stellt und einer sicherheitsfanatischen Regierungskoalition die Notwendigkeit neuer Verhandlungen erläutert. Israel hat sich im letzten Jahr zunehmend international isoliert, durch seine Drohgebärden gegenüber dem Iran und mit seinen Luftangriffen auf die Hisbollah in Syrien. Letzteres kann international als Kriegshandlung außerhalb eines Verteidigungsfalls angesehen werden. Israel sah das damals ein wenig anders: “Giftgas und Waffenlieferungen: Syrien zwingt zum Handeln”.
Jedenfalls muss Israel im Nahostkonflikt händeringend nach regionalen Verbündeten suchen, denn auch Ägypten ist kein verlässlicher Partner mehr. Gleiches gilt auch für die Türkei. Da die Palästinenserregierung jedoch Verhandlungen ablehnt, die nicht bedeuten, dass der Siedlungsbau gestoppt wird, muss Netanjahu schon mit einem Gastgeschenk aufwarten. Deshalb hat sich die israelische Regierung dazu entschlossen, eine der zentralen Forderungen der Palästinenser im Nahostkonflikt zu erfüllen und 104 Gefangene freizulassen. Darunter befinden sich ausschließlich diejenigen, die vor den Osloer Verträgen 1993 festgenommen wurden. Brisanz gewinnt der ganze Fall dadurch, dass unter den Gefangenen auch Palästinenser mit israelischer Staatsbürgerschaft sind. Somit untergräbt dieses Vorgehen die Gerichtsbarkeit und die Staatsgewalt über die eigenen Bürger. Die Gefangenen sind Terroristen (Palästinensische Freiheitskämpfer, je nachdem wie man es sieht) und haben zum Teil Israelis getötet. Deshalb protestieren vor allem die Hinterbliebenen ihrer Opfer heftig gegen eine solche Maßnahme.
Welche Forderungen sind realistisch?
Allerdings ist es mittlerweile beschlossene Sache und die Hoffnung, dass es im Nahostkonflikt eine neue Verhandlungsrunde geben kann, relativ hoch. Die Delegationen Israels und Palästinas (Hamas ausgeschlossen) haben sich bereits in Washington eingefunden und besprechen bisher nur die Verfahrensfragen. Die Positionen sind allerdings immernoch die Gleichen. Die Forderungen der Palästinenser beziehen sich vor allem auf die Grenzziehung, die ihrer Meinung nach der 1949 von den Vereinten Nationen gezogenen “grünen Linie” entsprechen soll. Diese Grenze wurde durch den Siedlungsbau der Israelis im Westjordanland immer weiter nach Osten verschoben und durch den Bau von Mauern quasi zementiert. Deshalb ist der Stop des Siedlungsbaus auch essentieller Bestandteil der palästinensischen Friedensbedingungen. Außerdem soll die Frage der palästinensischen Flüchtlinge geklärt werden, die im Nahostkonflikt nach Ägypten, Jordanien, Syrien und den Libanon geflüchtet sind und zurück in ihre Heimat wollen. All das soll die Entstehung eines palästinensischen Staates ermöglichen und damit den Nahostkonflikt beilegen. Die Hauptstadt Palästinas soll dann Ost-Jerusalem werden, das aber seit dem 6-Tage-Krieg 1967 von Israel besetzt ist.
“We’re making progress, and are working to end the conflict, discuss everything and everything is on the table.”
“The choice each representative is about to make is between receiving applause from his or her audience… and entering a room with the intent of reaching a settlement. That’s what I intend to do.”
Doch wie werden diese Forderungen wohl in Israel aufgenommen? Tzipi Livni bringt die Motivation für Verhandlungen auf den Tisch: “Es geht um die Sicherheit Israels.” Für Israel ist vor allem der islamistische Terror eine Bedrohung, nicht nur aus dem Gaza-Streifen, sondern auch von Syrien aus fliegen mittlerweile die Raketen. Ein neuer Staat Palästina wäre ja quasi eine Pufferzone zwischen dem instabilen Syrien und Israel. Dazu wird es nötig sein, auch um den Palästinensern die Hand zum Frieden auszustrecken, ihnen Land abzutreten, doch Ost-Jerusalem als Hauptstadt klingt doch sehr unrealistisch für Israel. Im Falle dieser Stadt entbrennt der Konflikt nicht auf Staatsebene, wo jeder Gebietsansprüche stellt, sondern es geht um die kulturell-religiösen Stätten der Stadt, die für beide Seiten von erheblicher Bedeutung sind. Der Nahostkonflikt hat sich genau an diesen Stätte schon sehr oft neu entzündet, mit den Intifadas 1 und 2 (Volksaufstände der Palästinenser in Jerusalem)
Rosige Aussichten für eine Lösung des Nahostkonflikt?

Die Hoffnung auf eine Verbesserung der Beziehung zwischen den beiden Konfliktparteien und damit auf verbesserte Lebensbedingungen der beiden Völker ist groß. Dennoch sind die Bemühungen Israels im eigenen Land umstritten und die Befreieung der Häftlinge ebenso. Nicht viele Israelis glauben an eine Verbesserung der Sicherheitslage, vor allem weil die Hamas ja kein Verhandlungspartner ist, sondern eine Terrorgruppe (in Gaza demokratisch legitimiert). Die Palästinenser auf der anderen Seite glauben nicht direkt daran, dass sich an der Grenzfrage irgendetwas ändert. Damit bleiben die Lebensbedingungen im Westjordanland allerdings scheiße.
Der US-Außenminister Kerry bemüht sich redlich um eine Verbesserung der Beziehungen. Noch nie ist ein Außenminister Amerikas so häufig in eine Konfliktregion geflogen. Hoffen wir mal, dass der Friedensprozess für Netanajahu nicht nur eine Hinhaltetaktik ist, um der Isolation zu entgehen.
BTW: John Kerry macht da echt nen geilen Job
Quellen:
http://www.tagesschau.de/ausland/israel1440.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Intifada
1) Bzgl. “Letzteres kann international als Kriegshandlung außerhalb eines Verteidigungsfalls angesehen werden.”
Das ist so eine Sache in der Region. Israel hat in den letzten zehn Jahren zehntausende Raketen kassiert, besonders zu stören scheint das keinen – so hat man vor der letzten Gaza-Operation “Pillar of Defense” etliche Appelle sowohl bei den europäischen und amerikanischen Verbündeten und als auch den Organen der Vereinten Nationen gestellt. Natürlich vergeblich, daher gilt es sich hier selbst zu behelfen. Libanon und Syrien sind beides Staaten die sich seit Jahrzehnten bis zum heutigen Tage offiziell im Krieg mit Israel befinden, zudem gerade die Hisbollah massiv Jahr für Jahr aufrüstet und ganz Galiläa in unmittelbarer Schussweite hat. Es ist schön wenn deutsche Journalisten und Blogger meinen Israel hier kriegerische Absichten oder gar völkerrechtliche Verstöße zu unterstellen, aber mal ehrlich – a) würde sich das ganz schnell ändern, wäre man selbst potentiell unter Beschuss b) verlieren diese völkerrechtlichen Floskeln bei der Betrachtung der, sagen wir mal pauschal, letzten 20 Jahre doch arg an Relevanz, letztlich entscheidet das tatsächliche Machtgefüge und c) kann sich ein Staat letztendlich nur auf sich verlassen – gerade Israel und die Juden können da ein 2000jähriges Lied von singen. Nichtsdestotrotz sei hier erwähnt: Israel versorgt syrische Kriegsopfer in seinen Krankenhäusern. Selbstverständlich interessiert das hier in Europa zumeist keinen, hier z.B. ein aktueller Artikel: http://www.timesofisrael.com/recovering-in-israels-hospitals-syrian-patients-detail-the-horrors-of-war/
2) Bzgl. “Jedenfalls muss Israel im Nahostkonflikt händeringend nach regionalen Verbündeten suchen, denn auch Ägypten ist kein verlässlicher Partner mehr.”
Falsch. Israel hat seine Verbündeten, gerade Ägypten ist seit dem Sturz des ehemaligen Präsidenten Mursi (wieder) der verlässlichste Partner der Region geworden und führt in enger Zusammenarbeit mit Israel aktuell eine breite Operation auf dem Sinai durch, infolge derer auch Nachschub-, Versorgungs- und Infiltrationswege der Hamas zerschlagen werden. Die Tunnel werden aktuell reihenweise geflutet. Mit dem Sturz der ägyptischen Muslimbrüder als Bruderorganisation der Hamas, dem Bürgerkrieg in Syrien und dem kürzlichen Zerwürfnis der Hamas mit dem Iran und der schiitischen Hisbollah steht die Hamas so isoliert wie seit ihrer Machtergreifung nicht mehr. Mit der Türkei hat man tatsächlich ein politisches Zerwürfnis – so what? Trotz dem ganzen offiziellen Gepolter von türkischer Seite hat die geheimdienstliche, kommerzielle und militärische Zusammenarbeit kaum gelitten und ist heute auf einem neuen Höhepunkt. Man hält keine gemeinsamen NATO-Übungen mehr ab und nach dem Marvi-Marvara Zwischenfall wurde einer Maschine der israelischen Luftwaffe der Überflug verboten – dennoch gibt es gerade hinsichtlich Syrien eine recht weite Kooperation, wenn auch inoffiziell. Dann: Jordanien. Bisher der verlässlichste Partner Israel’s in der Region und gerade auf geheimdienstlicher Ebene gerne bereit, alle Informationen zu teilen. Schließlich geht es um die eigene Existenz, die Mehrheit der Bevölkerung sind Palästinenser, das Land ist der flächenmäßig größte Teil des Mandatsgebietes Palästina (womit man früher auch schon des öfteren zu kämpfen hatte) und man fürchtet einen Aufstand der eigenen Islamisten. Achja, die EU hat es geschafft nach Jahren zumindest einen Teil der Hisbollah als terroristische Organisation einzustufen – man steht somit international so gut dar wie in den letzten Jahren nicht mehr.
3) “Palästinensische Freiheitskämpfer, je nachdem wie man es sieht” – und sie haben “zum Teil Israelis getötet”. Na dann. Freiheitskämpfer kämpfen gegen Besatzungstruppen, ergo gegen Militärs. Ein Beispiel hierfür sind z.B. die sowjetischen Partisanen im Rücken der deutschen Wehrmacht 1941-1944. Freiheitskämpfer sprengen aber nicht Cafes, Busse und Restaurants voller Zivilisten in die Luft. Ich glaube, es entspricht dem gesunden Menschenverstand, dass Personen die gezielt Unbewaffnete ermorden nichts anderes sind als Mörder und Terroristen, da fällt mir ehrlich gesagt nicht ein, wie man das anders sehen könnte. Natürlich sieht die “moderate” Fatah das etwas anders, hier z.B. ein aktuelles Beispiel: http://palwatch.org/main.aspx?fi=157&doc_id=9435 – man beachte: einer der Damen hat 37 Zivilisten, darunter 12 Kinder, ermordet. Na wenn das kein Grund zum Feiern ist.
4) Bzgl. “Die Forderungen der Palästinenser beziehen sich vor allem auf die Grenzziehung, die ihrer Meinung nach der 1949 von den Vereinten Nationen gezogenen “grünen Linie” entsprechen soll.” Ich ergänze: eine Grenze die sie selber abgelehnt haben seinerzeit.
5) Bzgl. der “Frage der palästinensischen Flüchtlinge”: da können die Palästinenser sicherlich lange auf eine Lösung warten. Aus den knapp 1 Millionen tatsächlichen Flüchtlingen sind inzwischen knapp 5 Millionen geworden und das a) dank eines weltweit einzigartigen vererbbaren Flüchtlingsstatus, pal. Flüchtlinge unterliegen als einzige Flüchtlingsbewegung nicht den Statuten des UNHRC sondern den separaten des UNRWA. Sie werden somit nicht integriert, sondern in den Gastländern in Camps angesiedelt ohne die üblichen Maßnahmen und Möglichkeiten ihr Flüchtlingsdasein zu beenden, zudem sind sie z.B. im Libanon mit Berufsverboten und eingeschränkten Rechten belastet, sowie b) wäre es für Israel mit seinen knapp 7,8 Millionen Einwohnern politischer Selbstmord um die 5 Millionen Palästinenser ins Land zu lassen, die zudem größtenteils die Existenz dieses Staates ablehnen. Nicht unerwähnt sollte werden, dass hier inzwischen der größte Teil Flüchtlinge in der dritten Generation sind.
Die Misere ist letztendlich ein Ergebnis des vollständigen Versagens der UN, Israel trägt hier keine Schuld. Man hat künstlich einen idealen Nährboden für Extremismus, Armut und Hass geschaffen. Übrigens: von den über 1 Millionen jüdischen Flüchtlingen 1948 aus den Ländern des Maghreb sowie des Nahen- und Mittleren Ostens lebt heute keiner mehr in Flüchtlingscamps – Israel hat hier Millionen investiert diese in die Gesellschaft zu integrieren, anstatt sie wie im Falle der Palästinenser in Camps zu sperren und eine künstliche politische Wunde aufrecht zu erhalten.
Ich setzte den Kommentar morgen fort.
zu 1.)
Die Hisbollah sind eine terroristische Organisation und die Angriffe, auf die Israel mit Lufteinsätzen in Syrien geantwortet hat, sind nicht Handlungen der syrischen Staatsführung. Zwischen beiden Ländern allerdings herrscht ein Waffenstillstand, den Israel mit diesen Luftangriffen auf syrischem Staatsgebiet gebrochen hat. Der Waffenstillstand hatte immerhin seit 1967 Bestand und ich finde der symbolische Wert dieses Waffenstillstands, vor allem auch für die Bedrohung die von Syrien als Kriegsgegner ausgeht, war hoch. Deshalb sehe ich nicht ein wieso dieser Fall nicht international als Kriegshandlung angesehen werden kann. Ich habe nie behauptet, dass solche Eingriffe keine Berechtigung aus Gründen der Selbstverteidigung hätte.
BTW: Welche syrischen Kriegsopfer werden denn in israelischen Krankenhäusern behandelt? Ich denke dass sich darunter wahrscheinlich nur Priviligierte befinden (weiß ich aber nicht viel drüber und kann mich dazu nicht detailiert genug äußern).
BTW 2: Sieh dir bitte noch die Opferzahlen dieser zehntausenden Raketen an, und die zivilen Opfer durch die Einsätze der israelischen Armee im Gaza-Streifen
zu 2.)
In welcher Traumvorstellung ist denn ein Land wie Ägypten, dass nach dem Sturz des Präsidenten Mursi ein verlässlicher Partner für Israel? Nur weil eine Zusammenarbeit zwischen der Militärführung und den Israelis gut funktioniert, so ist doch das ganze Volk voller Hass für Amerika und Israel. Und wenn eine, wenn auch geringe Mehrheit im Land, sich um seine demokratischen Rechte betrogen fühlt um sich anschließend zu entscheiden in den offenen Kampf gegen die Militärführung zu gehen, ist das für mich ein Pulverfass, das für Israel nicht einen verlässlichen Partner darstellt, sondern neue Bombenleger hervorbringt. Außerdem ist die Zusammenarbeit sehr deutlich an Bedingungen geknüpft, die nicht Israel diktiert, sondern die USA. Das ägyptische Militär hat garkeine andere Wahl als zu kooperieren, denn sonst verliert es alle Zahlungen, die für die Sicherheit des Sueskanals fließen.
Jetzt zu den Flutungen und Sprengungen der Schmugglertunnel:
Sie sind die einzige tatsächliche Quelle extern hergestellter Lebensmittel, sowie Benzin. Dass die wirtschaftlichen Strukturen im Gaza-Streifen eine Ernährung seiner Bevölkerung nicht zulassen ist ja wohl klar. Und da auch Hilfslieferungen nicht zugelassen werden, musste eine Schattenwirtschaft entstehen. Die Bedrohung durch die Tunnel hat sich Israel selbst herausgezüchtet.
zu 3.)
Da hast du natürlich Recht. Ich wollte damit nur zum Ausdruck bringen, dass die Fatah und die Palästinenser allgemein davon ausgehen, dass das Freiheitskämpfer sind. War ein bisschen schlecht formuliert. Allerdings muss man schon sagen, dass ein offener Freiheitskampf aus deren Sicht reiner Selbstmord wäre und der Terrorismus eine effektive Waffe in deren Augen. Diesen Weg werden glaube ich leider auch die Muslimbrüder in Ägypten bald einschlagen, wenn ihnen klar wird, dass ihre Aufstände mit immer neuer Gewalt niedergeschlagen werden.
zu 4.)
Danke für die Ergänzung. Ist doch ein feiner Zug, dass sie die Grenze jetzt akzeptieren würden.
zu 5.)
Ich finde schon, dass Israel eine Schuld trägt. Die sind ja schließlich nicht grundlos geflohen, sondern vor Kriegen und Gewalt im eigenen Land. Daran, dass sie in jedem anderen Nachbarland ebenfalls Bürger zweiter Klasse sind ist natürlich nicht die Schuld Israels, aber auch dort werden Araber diskriminiert und sind immer wieder Opfer von Übergriffen durch Jugendbanden ultraorthodoxer Juden.
Daher finde ich schon verständlich, dass die Palästinenser diesen Punkt verhandelt haben möchten.
Ich bin gespannt auf den zweiten Teil deines Kommentars.
Check mal den Artikel: http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/fachpublikationen/PMH-Interview_Israel.pdf